Standard Euro
Andreas Pointkowitz
Kurator Silke Feldhof
Ein
Text von Silke Feldhoff
Taxonomie*
wird Kunst – das Denksystem STANDARD EURO feiert heiter die
Untiefen unserer Alltagskultur und nebenbei sich selbst Damit haben wir vor uns: Taxonome, deren Untersuchungsgegenstand ein signifikant anderer ist als derjenige von Biologen oder Linguisten, die sich nichtsdestotrotz in sehr starkem Maße der Sprache bedienen, um den Aufbau eines kulturellen Systems zu beschreiben. Hier vergegenwärtige man sich nur die aberwitzige Nomenklatur ihres Systems, das en passant Wissenschaftsterminologie und Verwaltungsklausulierungen persifliert. Dies ist aber nur ein – wiewohl sehr attraktiver – Nebenschauplatz. Das Herzstück der Standard Euro‘ schen Taxonomie liegt in seinem System und in seinen Beständen. Hieraus speist sich der untergründige Witz der Arbeit, ihre Potenz und Relevanz. Denn während auf den ersten Blick ein besonderes Faible für das Absonderliche, eher Abseitige, vielleicht absurd Erscheinende als Auswahlkriterium das Charakteristikum dieser Sammlung zu sein scheint, ist es doch vielmehr so, daß erst die Art der Auswahl und dann der Darstellung das ‚Typische‘ in seinem skurrilen Charme, seinen abgründigen Konnotationshöfen, seinen mitunter entlarvenden Formalismen sichtbar macht. Der ‚Bestand‘ von Standard Euro besteht bisher aus dem System mit den Bereichen ”DiInf” (DieInfos), ”DiFir” (DieFirma), ”NorFi” (NormFilz), ”GreFE” (GrenzenFürEuropa), ”DeVer” (DerVerein), ”EheMa” (EheMachen) mit den entsprechenden ‚Belegstücken‘; dies sind Bildkürzel oder allgemein bekannte Bildformen. Von der medialen Aufbereitung her selbst standardisiert liegt der Bestand in Form normierter InfoKarten, InfoRäume und des InfoNet vor, also digital, analog in Form von Objekten, Papierarbeiten, Fotos und darüber hinaus in der Etablierung von Raumsituationen. Die einzelnen Belegstücke selber finden sich in Normkisten von 70 x 50 x 10 cm Größe archiviert. Ist das ”Einkisten” (=Archivieren) bereits eine Methode aus dem Wissenschaftsbereich, so kann erst recht das Stapeln der Kisten als attraktives bildliches Äquivalent zum Verfahren der ”historischen Schichtung” gelten. Bei den archivierten Belegen handelt es sich zudem um Transformationen von Realien, das heißt von gefundenem oder dokumentiert gefundenem Alltagskulturgut wie bestimmten Bildern, Formen, Materialien. Diese Funde sind Ideengeber für Objekte, die dann extra hergestellt werden; in enger Anbindung an ihren Ursprung im Gewöhnlichen, aber eben mit dem entscheidenden shift / der entscheidenden kleinen Verschiebung, so daß sie ins Raster von Standard Euro passen und als Belegstück eine ihrer Behauptungen visualisieren. Durch das gezielte Isolieren, Analysieren, Transformieren und der öffentlichen Wahrnehmung wieder neu / anders Zuführen solcher Funde werden die Belege zu besonderen, sprechenden kulturellen und auch kulturhistorisch relevanten Zeugnissen. Aus kunsthistorischer Sicht gilt es hier eine deutliche Affinität zu wichtigen Strömungen der Kunst der 1990er Jahre zu konstatieren, in denen sich Diskurse um die Themen Alltag und Alltagszeugnisse und die Methoden des Sammelns und Archivierens bündelten. In unserem Zusammenhang ergiebiger dürfte die Beobachtung sein, daß sich Standard Euro mit dem Sammeln und Archivieren von Belegen, die ihren Ursprung und ihre Begründung in aktuellen zeitgenössischen Realien tragen, in eine gewisse Nachbarschaft zur Zeithistorischen Archäologie begibt, einer noch jungen Wissenschaftsdisziplin, die, ähnlich der Kultursoziologie in den 1990er Jahren, noch ihrer wissenschaftlichen Begründung als interdisziplinäre Forschungsrichtung zwischen Archäologie und Geschichtswissenschaft harrt. Durch die Entwicklung eines eigenwilligen Systems sowie einer eigenständigen Nomenklatur geht Standard Euro deutlich auf Distanz, ohne methodische und thematische Anleihen zur Kultursoziologie und Zeithistorischen Archäologie zu leugnen. Es zelebriert ein selbstironisches Spiel von Aneignung und Brechung (auch darin Diskursen der 90er verwurzelt); sein Skeptizismus bricht sich Bahn in dem Moment, in dem es den Objektivierungs- und Klassifizierungswahn der Wissenschaft durch einseitige Forcierung bestimmter Aspekte, durch offengelegte Fakes und durch sprachliche Absurdismen unterläuft. Den Fokus allerdings ausschließlich auf solche Brechungen zu richten, griffe beim Versuch, sich das Denksystem Standard Euro zu erschließen, zu kurz. Vielmehr
betreiben Anne Metzen und Christoph Schmuck mit Standard Euro ein
Unterfangen, das knallharte Konzeptkunst mit Spaß und sinnlicher
Umsetzung paart – und das nicht im luftleeren Raum, sondern
im prallen Leben, in das wir alle eingeschrieben sind und in das
wir uns permanent selbst neu einschreiben. Standard Euro praktiziert,
was die ehemalige Leiterin des Bonner Kunstvereins, Annelie Pohlen,
vor Jahren so schön mit ”Kunst als kreative Grundlagenforschung” beschrieb:
Als selbstbeauftragte Feldforschung widmen es sich dem Anliegen,
Licht auf Unterströmungen kultureller Manifestationen zu werfen,
die – z.T. erschreckend, z.T. belustigend, z.T. auch beides
zusammen – ansonsten aus der Wahrnehmung kippen oder auch bewußt
aus der Wahrnehmung gedrängt werden. Standard Euro wandert munter
auf diversen Bergrücken medialer – kommunikationstechnischer
und wahrnehmungspsychologischer – Verwerfungen. Von diesem
Grat aus gibt es einen recht guten Überblick über die Untiefen
unserer Alltagskultur. Hieraus schöpft es seine konkreten Themen,
seine Sprache, seine Bilder. Mit diesen baut es sein alternatives
Denksystem Standard Euro – eine mögliche Anleitung, Welt
anders zu begreifen, eine Denkalternative quasi-philosophischer Manier.
Daß im Moment der Erleuchtung ein breites Grinsen die natürliche
Reaktion des ein oder anderen Rezipienten zu sein scheint, dürfte
alle Beteiligten erfreuen. *
Taxonomie |
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